Letzten Samstag wurde die Theater Kaendace Produktion "SALZZUCKERL wir pflegen den Notstand" von und mit der überzeugenden "selbst nicht mehr die jüngste Enkelin jener Oma, um deren Leben sich alles dreht" Christine Teichmann zum letzten Mal im ARTist's Graz aufgeführt. Unter der sorgfältigen Regie von Alexander Mitterer und der milde lächelnden, nicht sprechenden aber umso berührender singenden "Mitspielerin" Dragana Avokadovic war der Zuschauer:innen-raum voll, die Stimmung konzentriert, der Stoff beklemmend und erkenntnisreich gleichermaßen.
Muss die bessere Lebensqualität der einen auf Kosten der anderen und vor allem der achtlosen Ignoranz anderer Leben gegenüber aufgesetzt sein?
Stichwort: Pflegehilfen aus Osteuropa.Super recherchiert, keine leichte Kost und gerade deshalb gute Nahrung für den Blick auf eine solidarische Gesellschaft von morgen…
Im Zuge der Prozessarbeit an der Kulturstrategie 2030 des Landes Steiermark wurde der Bedarf aus der Theaterszene geäußert, fertige Produktionen steiermarkweit und darüber hinaus in Kooperationen mit regionalen Spielorten und Initiativen leistbar zeigen zu können. Das wäre gerade für dieses Stück sehr wünschenswert.
Eine Frau schult die 24-Stunden-Pflegerin ein. Die Oma, 1921 geboren, lediges Kind einer Magd, hat lebenslang massive Unterdrückung und Machtmissbrauch erlebt. Nun soll sie es endlich einmal gut haben. Die neue Lebensqualität geht allerdings auf Kosten der Pflegerin aus Osteuropa.
Christine Teichmann, auch als Kabarettistin für geistreiche, kritische Texte bekannt, erzählt in "Salzzuckerl oder wir pflegen unseren Notstand" von Frauenschicksalen. In nur scheinbar harmlosem Geplauder führt sie vom Privaten ins Politische, sieht unsere Doppelmoral bezüglich der Ausbeutung und beschönigt sie. Dragana Avokadovich ist der Produktion des Theaters Kaendace die verbindlich lächelnde (und ausdrucksstark singende) Pflegerin. Die gelungene Regie stammt von Alexander Mitterer, die stimmige Ausstattung von Sonja Kreibich.
"Der Vertrag kann durch den Tod der pflegebedürftigen Person aufgelöst werden, wobei die Pflegerin ein bereits im voraus gezahltes Entgelt anteilig zu erstatten hat."
Das Theater Kaendace startet in "Salzzuckerl oder wir Pflegen unseren Notstand" von und mit Christine Teichmann im ARTist's eine Reise in die Vergangenheit, bei der jegliche Nostalgie zugunsten der grausamen Realität auf der Strecke bleibt. Eine Geschichte der Ausbeutung, der Gewalt und deren Weitergabe auf die nächste Generation, über Mägde und Knechte, und deren tristes Leben, über den Minderwert der Frau in alter Tradition, über Macht und deren Missbrauch:
"Und bei uns als Gesinde am Land war es dir sowieso scheißegal, ob Kaiser, Bundeskanzler oder Ständestaat, weil über dein Leben bestimmt hat der Bauer und der Pfarrer. Die Oma hat ja als junges Mädel nicht einmal über ihre Freizeit selbst entscheiden dürfen, auch am Sonntag hat es nach der Stallarbeit zuerst einmal geheißen: ab in die Kirche und dann im Haus helfen, noch einmal Stallarbeit und für die paar Stunden am Nachmittag, bevor sie am Abend in den Stall musste, hat sie Erlaubnis von den Bauersleuten gebraucht, den Hof zu verlassen. Die Knechte, die haben schon einmal ins Wirtshaus dürfen oder zu einem Fest, aber die Mägde entweder gar nicht oder nur wenn die Bäuerin bestimmt hat, wohin, wie lange und mit wem."
Über emotional verkrüppelte Menschen, die im Alter in ein Heim abgeschoben werden, über eine Gesellschaft, die wegsieht und gegen Befindlichkeiten aufbegehrt, und eine Politik, die Macht und Einfluss zu bewahren versucht, "davon träumt die ÖVP halt noch, die schafft gerade einmal, die Wiener Zeitung zuzusperren, aber das ist falsch verstandene Message Control, man muss schon die Medien kontrollieren, die auch gelesen werden!"
Am Beispiel einer alten pflegebedürftigen Frau, eine Familiengeschichte, der gegenseitigen Abneigung entstanden aus traditionellen Rollenverständnis. Das neue Opfer, die osteuropäische Pflegerin steht bereits bereit, die Tradition der Ausbeutung fortzusetzen als die natürlichste Sache der Welt den Umständen geschuldet. Quasi eine neue Leib-eigenschaft der natürlichen Ressource Mensch aus Osteuropa.
"Zuerst braucht man im Fremdenverkehr dringend Gastarbeiter, dann hat man Angst, dass sie einem die Arbeitsplätze wegnehmen und die Löhne ruinieren, dann sind die Löhne derart ruiniert, dass nicht einmal mehr die Ungarn bei uns arbeiten wollen und man wieder halbwegs anständige Bedingungen bieten muss, irgendwann pendelt sich das alles wieder ein."
Es ist auch ein humorvoll zynischer Abend mit einer notwendigen Überdosis an Wahrheit über ein System, in dem das Objekt Mensch entsprechend verwendet wird ohne Rücksicht auf Verluste, bloß mit leichtem bedauern Achselzuckend akzeptiert. Empört euch - mindestens so wie Karl Mahrer am Brunnenmarkt - aber nicht mit so einer erbärmlichen Verlogenheit und rassistischen Erektion beim Menschenverachtenden Ressentiment-spiel. Das ist nur billig und recht – und auch sehr österreichisch!
"Sind wir sicherheitspolitische Trittbrettfahrer oder unterstützen wir militärische Maßnahmen gegen menschenrechtsverachtende Regime? Wir sind neutral! Sind wir für freien Hochschulzugang oder wollen wir kein Geld für mehr Studienplätze ausgeben? Wir machen Aufnahmeprüfungen! Sind wir gegen ausbeuterische Produktionsbedingungen oder wollen wir billige Waren aus dem Ausland? Wir führen ein Fair-Trade-Gütesiegel ein! Sind wir für strenge Arbeitnehmerinnenrechte oder wollen wir leistbare Pflege? Wir machen 24h Pflegerinnen einfach zu Selbständigen!"
Eine Frau, circa 50 Jahre alt, eine junge Pflegerin aus Osteuropa und eine sehr alte Oma im Nebenzimmer. Letztere hört man ab und zu wimmern. Wenigstens in ihren letzten Monaten soll es die Oma endlich ein bisschen angenehm haben, so wünscht es sich die Enkelin, die bis vor kurzem nichts von der Existenz ihrer Verwandten wusste. Über eine Agentur wird eine 24-Stunden-Pflegerin angeheuert. 24 Stunden, das heißt: immer im Dienst, kein Krankenstand, kein bezahlter Urlaub, und wenn die Oma stirbt, dann endet der Vertrag.
In einem Monolog, der (in Umgangssprache verfasst) von einem zum anderen Thema führt, wie das nun einmal so ist, wenn die Eine zum Reden beginnt und die Andere geduldig zuhört (weil ihr gar nichts Anderes übrig bleibt), wird vor allem die Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft einst und jetzt abgehandelt. Geht es zu Beginn des Stücks noch hauptsächlich um die prekäre Lage der aus Osteuropa nach Österreich pendelnden Pflegekräfte, wird schließlich die Biografie der Oma erzählt, der Magd, die - jeglicher Rechte beraubt - bis ins hohe Alter hinein schuften musste. Und bald stellt man fest: Die Oma im Nebenzimmer und die Pflegerin aus Osteuropa haben gar nicht so wenig gemein.
Christine Teichmann ist mit "Salzzuckerl - Wir pflegen den Notstand" ein unheimlich dichter Monolog gelungen, der zutiefst emotional erschüttert und doch auch immer wieder zum Lachen bringt. Als Zuseher:in wird man so richtig durchgebeutelt in den knapp zwei Stunden minus Pause. Abgesehen vom Text überzeugten auch die Inszenierung und die schauspielerische Leistung. Teichmann spricht den Monolog so "echt", dass man beinahe das Gefühl bekommt, mit einer Verwandten am Tisch zu sitzen. Dragana Avokadovich wiederum beherrscht das Mienenspiel perfekt, und nicht nur das. Wenn sie etwa das mazedonische Volkslied "Jovano, Jovanke" zu singen beginnt - nämlich dann, wenn ihre Arbeitgeberin den Raum verlässt -, breitet sich Gänsehaut aus. Im Gegensatz zu den Liedern aus dem osteuropäischen Raum stehen die Volksweisen aus Österreich, welche die Enkelin, bon Sentimentalität geleitet, der Pflegerin vorsingt.
Es wird noch ein bisschen dauern, bis man das "Salzzuckerl" wieder wird sehen können, aber merken Sie sich das Stück. Geplant ist eine Neuaufnahme in jedem Fall. In der Zwischenzeit können Sie sich dir Teichmann auf der Kabarettbühne ansehen. Ihr Programm "Links rechts Menschenrecht" spielt es noch!
"Salzzuckerl oder wir pflegen unseren Notstand" ist eine weitere Zusammenarbeit der Autorin, Slam Poetin und Kabarettistin Christine Teichmann mit dem Theater Kaendace. Sie hat das Zweipersonenstück geschrieben, das von Alexander Mitterer inszeniert und im März im ARTist's uraufgeführt wurde.
Das Stück "Salzzuckerl oder wir pflegen unseren Notstand" ist für zwei Personen konzipiert, von denen eine aber fast durchgehend zum Schweigen gezwungen ist. Dragana Avokadovich gibt die Rolle der 24-Stunden-Pflegerin aus Osteuropa, die den betonhaften Redeschwall der Enkelin ihrer Anvertrauten erträgt, ohne das maskenhafte Lächeln nur eine Sekunde zu verlieren. Ihre Selbstdisziplin und ihre hilflosen Bewegungen, wenn sie minutenlang mit einem Müllbeutel in der Hand herumsteht und nicht weiß, wohin mit dem Unrat, tut fast körperlich weh beim Hinsehen. Selten war so wenig Aktion so viel auf einer Bühne, vor allem wenn man die vitale und quirlige Schauspielerin aus anderen Stücken wie dem Klimastück "Wetterbericht, oder wir tanzen die Thunberg" kennt. Nur manchmal darf sie Balkan-Gassenhauer singen. Nur solange, bis sie von Teichmann mit Volksliedern überstimmt wird.
Christine Teichmann glänzt in all ihren Facetten als Komikerin und Poetry Slammerin in dem den mitreißenden und trotz der zwei Stunden keine Millisekunde langweiligen Monolog über die Lose-lose-Situation von Frauen. Scheinbar mühelos nimmt sie das Publikum mit auf ihrer Erzählung, die nicht nur das tragische Einzelschicksal einer ausgebeuteten Magd, sondern auch ein riesiges Stück österreichischer Zeitgeschichte vermittelt. Die über hundert Jahre alte Frau, die noch bis ins hohe Alter schuften musste, von Männern wie Frauen gleichermaßen körperlich und seelisch missbraucht, wird nach dem Tod ihres Sohnes an dessen Tochter "vererbt". Ihre Enkelin (Christine Teichmann) rettet sie vor der bevorstehenden Verwahrlosung in einem Altenheim und überlässt sie der Obhut einer 24-Stunden-Kraft. Jenen Arbeitnehmerinnen, die sich für sehr wenig Geld unter das Dach ihrer Arbeitgeber*innen begeben, um dort für wenig Geld und noch weniger Rechte (als Selbständige gibt es für 24-Stunden-Pflegerinnen weder Arbeitszeiten noch Urlaubs- oder Krankengeld) wertvolle Care-Arbeit leisten.
Mit feinen Spitzen, großartigen Wortwitzen und herrlich komischen Vergleichen ("Sex am Dixiklo hat mit Liebe so viel zu tun wie die ÖVP mit christlich-sozialen Werten") zeichnet Christine Teichmann das Bild einer passiv-aggressiven Person, die sich, angereichert mit viel Weisheit des Bildungskleinbürgertums und der flexiblen Neutralität der österreichischen Seele, durch das Leben laviert. Trotz der ekelhaften Besserwisserei, der fehlenden Empathie und der nervtötenden Ausweicherei in allen moralischen Konflikten verleiht sie ihrer Figur im Laufe des Stückes dennoch Empfindsamkeit und Menschlichkeit. Wie so viele von uns scheitert sie am Tod und am bedingungslosen Verzeihen - schafft es nicht, sich dazu zu überwinden, auf das Begräbnis ihrer Eltern zu gehen. Sie weiß genau um das moralische Dilemma, das die Fürsorge der einen, die Ausbeutung der anderen mit sich bringt und akzeptiert es nicht nur aus pragmatischen Gründen. Das macht die Figur, deren ambivalente Rolle als Berichterstatterin und irgendwie auch Täterin Christine Teichmann, nicht nur bravourös, sondern mehr als exzellent gelungen ist, so plastisch und trotz aller Unsympathien doch greifbar. Hintergrundinformationen zur rechtlichen Situation und dem Arbeitsalltag von 24-Stunden Pflegerinnen lieferte dafür die IG24 - Interessengemeinschaft der 24H-Betreuer_innen. Das durchdachte Bühnenbild von Sonja Kreibich untermalt mit weißen Tüchern und spartanischer, aber gut gewählter Dekoration die Stimmung des Stückes. Selten wurde so ein großes, schmerzhaftes Thema so innig und trotzdem leichtfüßig auf eine Bühne gebracht. Unbedingt hingehen und anschauen!